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4 Mittwoch, 20. März 2024 WEINHEIM DiesbachMedien GmbH · Friedrichstraße 24 · 69469 Weinheim Telefon 06201/81100 · www.extra-anzeigenblatt.de Weinheim mit allen Stadtteilen, Gorxheimertal, Hemsbach, Hirschberg, Heddesheim und Schriesheim: Beate Maier Tel. 06201/81127 Der Kontakt zu Ihrer Anzeigenberaterin. Ihr Firmensitz ist in: Abtsteinach, Grasellenbach, Lindenfels, Wald-Michelbach, Reichelsheim, Fürth, Rimbach, Birkenau, Mörlenbach, Heppenheim und Laudenbach: Heidi Vaisnys Tel. 06253/21089 Im Gespräch erklären Nadja Weiß (von links), Jacqueline Steinert, Paul Jöst und Katarzyna Wurzbach, wie Jugendarbeit in der Suchtberatung funktioniert. BILD: GABRIEL SCHWAB hat mir ein Klient erzählt, er hat sich Heroin aus dem Darknet bestellt“, so die 46-Jährige. Dabei handelte es sich jedoch um keinen Jugendlichen. Diese Altersgruppe wird in sozialen Medien wie Instagram, TikTok und Co. ganz gezielt an Profile von Internet-Dealern herangeführt (wir haben berichtet). Dabei begünstigen die Algorithmen der Plattformen die Verknüpfung von Nutzern und Anbietern. Wie Katarzyna Wurzbach von der Suchtstelle in der Vergangenheit berichtete, reicht es dabei oftmals aus, ein lustiges Video „zu liken“. ZumBeispiel das eines feiernden Mannes, der offensichtlich unter Ecstasyeinfluss völlig überdreht und mit weit aufgerissenen Augen in der Disco tanzt, dabei ulkige Grimassen zieht. Gefällt das Video, bemerkt das der Algorithmus. Er zeigt ihnen immer mehr Inhalte und Profile dieser Art an. Teilweise auch solche, auf denen offensiv Drogen zum Verkauf angeboten werden. Wenn es um problematischen Konsum geht, bringe es nichts, jungenMenschenmit dem erhobenen Zeigefinger zu begegnen. Da sind alle vier Mitarbeiter der Suchtberatung sich einig. Die wenigsten Jugendlichen kommen aus eigenem Antrieb in die Suchtberatung. Besorgte Eltern bringen sie dort hin, sie werden von Betreuern angemeldet oder suchen die Zeppelinstraße im Rahmen der Jugendgerichtshilfe auf. Aber wie wird den jungen Menschen geholfen – was ist aus der Sicht der Experten ein Erfolg? „Pauschale Antworten sind hier schwierig“, so Nadja Weiß. „Es geht zunächst darum, herauszufinden: Warum verhält der Jugendliche so, wie er sich verhält? Wofür steht der Konsum? Was bezweckt er damit?“ Meistens geht es darum, etwas zu entfliehen und/oder zuzudecken. Druck wird ausgeglichen, dieser kann auch durch das soWeniger Hemmungen, zu konsumieren WEINHEIM. Auf einem Wandbild hinter Jacqueline Steinert strahlt die Sonne durch die Baumkronen. Wenn sie mit ihrem Gegenüber spricht, dann lacht sie viel. Spricht ihr Gegenüber, spitzt sie konzentriert die Lippen. In der Mimik der 32Jährigen lassen sich zwei Grundpfeiler ablesen, auf denen die Jugendarbeit in der Weinheimer Suchtberatung gebaut ist. Eine entspannte Gesprächsatmosphäre einerseits, eine gespannte Aufmerksamkeit für die jungen Menschen andererseits. Alkohol häufigste Ursache Von den 377 Klienten, die den Verein in der Zeppelinstraße 2023 regelmäßig aufsuchten, sind 76 nicht älter als 25 Jahre. Jöst mit Blick auf die Jugend Sorge. Dabei spielt der zu erwartende Anstieg bei den Klientenzahlen noch nicht einmal die größte Rolle. Noch bedenklicher sei die Abgabe von Cannabis ab 18 Jahren: „Bis dahin ist das Gehirn eines Heranwachsenden einfach noch nicht fertig entwickelt.“ Die größte Befürchtung bei der dritten legalen Droge nach Nikotin und Alkohol ist jedoch eine Verharmlosung von illegalen Substanzen. Schon jetzt lässt sich eine Verschiebung feststellen, eine geringere Hemmschwelle, Gefährlicheres zu konsumieren. „Erst gestern hattenwir so einen Fall“, erzählt Sozialarbeiterin Steinert, „ein Klient, der mit elf Jahren angefangen hat, zu kiffen, mit 13 Jahren dann, Oxycodon zu konsumieren.“ Das opioidhaltige Schmerzmittel wird neben Tilidin oder dem Hustenstiller Codein unter den Medikamenten besonders häufig als Rauschmittel missbraucht. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt für Jugendliche hierbei die Rapmusik, in der der Konsum von „Oxys“, „Tillis“ und „Lean“ (Codein) plötzlich einen unrühmlichen Vorbildcharakter bekommt. Leiter Paul Jöst stelle einen generell verändertenUmgang mit illegalen Substanzen fest, der etwa auch Amphetamine und Kokain mit einschließt. Auch eine „leichtere und schnellere“ Verfügbarkeit. Doch woher beziehen junge Menschen die Drogen? Natürlich gebe es noch den „klassischen“ Dealer, berichtet Mitarbeiterin Nadja Weiß aus den Gesprächen mit Jugendlichen. Viel laufe hier über Mundpropaganda. Digitale Wege würden hingegen beschritten, wenn es um „Härteres“ gehe. „Neulich Während über die Hälfte aller Gespräche nach wie vor wegen eines problematischen Verhältnisses zu Alkohol geführt werden, sitzen Jugendliche und junge Erwachsene heutzutage hauptsächlich wegen einer Droge in der Suchtberatung: Cannabis. Das schlägt sich auch in der altersübergreifenden Gesamtstatistik nieder. Die Beratungsgespräche nehmen hier zu. Die Substanz liegt bereits seit einer Weile auf Platz zwei, 2023 saßen 81 Menschen wegen ihres Konsums regelmäßig den Mitarbeitern der Suchtberatung gegenüber. Bald drei legale Drogen Die vom Bundestag verabschiedete Teil-Legalisierung bereitet Beratungsstellen-Leiter Paul ziale Umfeld, insbesondere den Freundeskreis, entstehen. In den ersten Gesprächssitzungen geht es den Mitarbeitern der Suchtberatung also darum, eine Beziehung aufzubauen: „Wenn ich es schaffe, dass mein Gegenüber anfängt zu sprechen, sich mitzuteilen, dann ist das schon ein riesiger Erfolg“, sagt Paul Jöst, Leiter der Beratungsstelle. „Das erreicht man nur dadurch, dass es ernst genommen wird.“ Darüber hinaus wird Erfolg in jedem Einzelfall neu definiert. „Wenn ich einen Klienten habe, der jeden Tag kifft, und nach der Beratung montags und dienstags Pause macht, ist das ein Durchbruch“, so Katarzyna Wurzbach. Der Anspruch, fügt Jöst hinzu, ist nicht, die Probleme mit einem Fingerschnippen wegzuzaubern. „Dafür braucht es schon Zeit.“ Und Geduld. Der Weg hinweg von der schiefen Bahn, er ist lang und oftmals steinig. Gabriel Schwab Hilfe zur Selbsthilfe Wenn Konsum zur Gewohnheit wird, fällt es Betroffenen oftmals schwer, einen geregelten Alltag zu leben. Nadja Weiß, Jacqueline Steinert, Katarzyna Wurzbach und Geschäftsführer Paul Jöst arbeiten in der Weinheimer Suchtberatungsstelle und unterstützen süchtige Menschen mit Rat und Tat. Der Trägerverein Suchtberatung Weinheim wurde am 20. Juni 1979 gegründet und ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband. Rund 600 Hilfesuchende werden durchschnittlich im Jahr in der Beratungsstelle betreut. Neben Angehörigenberatungen und Einzelgesprächen kamen 2023 insgesamt 377 Klienten regelmäßig. Zu den Hilfsangeboten gehören Beratung, Behandlung, Vermittlung von Therapien, Nachsorge sowie Präventionsinitiativen in Schulen und Betrieben. „Teilweise nehmen wir auch Klienten mit in die Klassen, wo sie von ihren Erfahrungen erzählen“, sagt Jöst. Die Suchtberatungsstelle bietet speziell für Jugendliche und Heranwachsende das Programm zur Frühintervention bei erstmaligem Drogenkonsum (FreD) an. Dieser Kurs beinhaltet fünf Sitzungen und kann unter anderem auf richterliche Anordnung erfolgen. Jugendliche imAlter von 14 bis 21 Jahren haben dort die Möglichkeit, alternative Freizeitaktivitäten kennenzulernen, anstatt Drogen zu konsumieren. In Zusammenarbeit mit dem AC Weinheim dürfen die Jugendlichen beispielsweise ein Boxtraining absolvieren oder sich im Tonstudio des Mehrgenerationenhauses musikalisch ausleben. am Hustenstiller als Rauschmittel: Selbst auf der „Wohlfühl-Plattform“ Instagram bieten Dealer ganz unverhohlen ihre Ware feil. SCREENSHOT: INSTAGRAM / GABRIEL SCHWAB

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